CL-Kolumne: Fußballzerstörung als eigene Kunstform
Bei der 0:1-Hinspielniederlage bei Manchester City im Viertelfinale der Champions League stellte Trainer Diego Simeone Atlético Madrid erneut extrem defensiv ein. Eine Spielweise, die auf ihre Arte eine Kunst für sich ist.
Manchester. Sie haben es schon wieder getan. Im Champions-League-Viertelfinale bei Manchester City überraschte Atlético Madrid nicht. Der Mannschaft von Diego Simeone war wieder einmal nicht nach Fußballspielen zumute, Fußball verhindern war das Motto. Ein Torschuss, 30 Prozent Ballbesitz, 72 Prozent Passquote. Was sich liest wie Erst- gegen Viertligist in der ersten DFB-Pokalrunde, war ein Duell von zwei der besten acht Mannschaften in Europa. Simeone parkte mit seinem 5-5-0-System nicht nur den vielbeschworenen Bus vor dem Tor, es war vielmehr der ganze Busbahnhof. Umso genugtuender muss es für Freunde der gepflegten Fußballkunst gewesen sein, dass am Ende doch einer durchrutschte und die Spanier mit einem 0:1 ins Rückspiel gehen.
„Sie könnten richtigen Fußball spielen“
Jürgen Klopp sagte 2020 einmal: „Ich verstehe nicht, warum Atlético so einen Fußball spielt. Mit der Qualität, die sie haben, könnten sie richtigen Fußball spielen.“ Rein aufs spielerische bezogen mag der Liverpooler Coach Recht haben. João Felix und Antoine Griezmann, auf der Bank noch Thomas Lemar und Luis Suarez – bei diesen Spielern würden sich alle Trainer in Europa die Finger reiben. Was Pep Guardiola oder Klopp mit diesem Kader wohl anfangen könnten?
Aber in gewisser Weise ist der Fußball Atléticos eine Kunst für sich. Zeitspiel ab der ersten Minute, das so dreist ist, dass die Schiedsrichter glatt vergessen, dafür Gelbe Karten zu verteilen. Nicklige Fouls und Schauspieleinlagen, bei denen Oscargewinner neidisch werden können. Stichwort Oscargewinner: Will Smith würde sicherlich auch gut ins Team passen, nachdem er kürzlich seine „Durchschlagskraft“ unter Beweis stellte. Angel Correa ahmte in auf seine Weise nach, indem er Citys Jack Grealish am Boden liegend abschoss. Grealish bräuchte dann vor dem Rückspiel allerdings Nachhilfe von Chris Rock. In seinen 22 Minuten auf dem Feld bekam der 117-Millionen-Mann die „Kunst“ der Madrilenen oft genug zu spüren und war scheinbar kurz davor, zum rotwürdigen Gegenschlag auszuholen.
Mit seiner Wadenbeißer-Taktik holten Atlético und Simeone zwei Meisterschaften, einen Pokalsieg und zweimal die Europa League. Es ist in gewisser Weise das Arjen-Robben-Phänomen. Immer der gleiche Ansatz und jeder weiß, was kommt – aber keiner kann es verhindern. Das macht das Ganze so faszinierend und verstörend zugleich. Und die Fußballromantiker wissen gar nicht wohin mit sich, dass plötzlich Scheich-Klub Manchester City als Retter der Fußballkultur auftreten muss. Vielleicht kommt aber der ein oder andere doch noch dahin, diese besondere Kunstform zu würdigen.
Yannick Reinke, 06.04.2022
Foto: Matthias Weuthen