„Es braucht vorbildhafte Athleten“
Daniel Müller ist Leiter des Olympiastützpunktes NRW/Rheinland. Im Interview spricht er über Medaillen als Erfolgsmesser.
Köln. Im Spitzensport war der 37-Jährige nie aktiv, dafür umso früher als Koordinator hinter der Bühne. Schon während seines Sport-Studiums fing er im Marketing und Sponsoring bei Bayer 04 Leverkusen an, später war er für sechs Jahre Geschäftsführer der BARMER 2. Basketball-Bundesliga. Doch dann wollte Daniel Müller wieder näher ran an den Sport: weg vom Business, hin zu den Athleten. Seit drei Jahren ist der Leverkusener Leiter des Olympiastützpunktes NRW/Rheinland (OSP) mit Sitz in Köln. Studierende der Fachhochschule des Mittelstands (FHM) haben ihn an seinem Arbeitsplatz besucht und zu seinem Wirken befragt.
Guten Morgen Daniel. Wie sieht ein klassischer Arbeitstag von dir aus?
Daniel Müller: Das Schöne in diesem Bereich ist, dass es nicht den klassischen Arbeitstag gibt, also ich sitze nicht von Nine-to-Five im Büro. Es gibt eher so Themenbereiche, in denen ich aktiv bin. Ich bin verantwortlich für die Führung des OSP, das heißt, ich bin mit den Mitarbeitern in den verschiedenen Bereichen im Austausch. Das ist eine Mischung aus vielen Gesprächen, telefonisch, zuletzt auch per Videokonferenz, aber natürlich auch persönlich: Besuch bei den Mitarbeitern, Besuch bei den Trainingsstandorten, um zu schauen, ob die Athleten in irgendeiner Form Unterstützung benötigen.
Wie sieht die Unterstützung der Athleten denn in der Praxis aus?
Müller: Die Zusammenarbeit erstreckt sich ja meistens über die gesamte sportliche Karriere, sobald die Athleten einen Bundeskaderstatus erreichen. Ab dem Punkt betreuen wir sie, mal intensiver, mal weniger intensiv, abhängig von der Nähe, die wir haben und dem Bedarf des Athleten. Im Endeffekt geht es um alle Dinge, die dem Leistungssport dienen sollen. Zum Beispiel helfen wir mit Physiotherapie bei uns. Oder bei medizinischen Problemen haben wir ein großes Netzwerk von Partnern, durch das die Athleten schnell einen Termin bekommen.
Zum Jahreswechsel 2018/2019 sind die einzelnen Olympiastützpunkte zum Landessportbund NRW übergegangen. Kann man da von einem Umbruch sprechen?
Müller: Ein Umbruch war es auf jeden Fall. Vorher gab es drei voneinander unabhängige Olympiastützpunkte in NRW, die jetzt alle zusammen agieren und miteinander arbeiten. Ob das vorher ein gegeneinander war, kann ich nicht beurteilen, aber jetzt ist es automatisch, dass sich die Verantwortlichen einmal die Woche austauschen und wir vielleicht noch zielgerichteter in eine Richtung laufen, weil es jetzt eine gemeinsame Organisation ist. Mittlerweile ist der Umbruch aber auf jeden Fall abgeschlossen.
Hat das einen bestimmten Grund, warum es in NRW drei Olympiastützpunkte gibt?
Müller: Das ist historisch gewachsen und meiner Meinung nach auch sinnvoll, in so einem flächenmäßig großen Bundesland wie NRW das Ganze zu verteilen. Am Ende wollen wir ein regionaler Dienstleister vor Ort sein. Wir wollen nah bei den Athleten sein. Das geht nicht immer, weil wir dann ja in jeder Kommune in NRW aktiv sein müssten. Aber unsere regionalen Zentren sind wichtig, damit wir die Nähe zum Sportler aufbauen können. Unsere Philosophie ist nah am Athleten zu sein und das geht nur, wenn wir an mehreren Standorten erlebbar, begreifbar und besuchbar sind.
Würdest du die Beziehung zu den Olympiastützpunkten der anderen Bundesländer als konkurrenzhaft bezeichnen?
Müller: Fast alle, die hier arbeiten, sind Sportler, oder haben Sport gemacht. Und natürlich wollen wir auch, dass die Leute, mit denen wir zusammenarbeiten und zu denen wir eine emotionale Bindung aufbauen, erfolgreich sind. Ich gucke dann die Spiele in Tokio und bekomme Gänsehaut, wenn ich sehe, dass sich diese Athleten ihren Traum erfüllen. Das ist das, was uns hier antreibt, und nicht so sehr der Konkurrenzkampf zu anderen. Natürlich freuen wir uns, wenn bei internationalen Wettkämpfen Athleten aus NRW dabei sind, weil wir auch einen leichten kleinen Anteil daran haben, dass sie erfolgreich sind.
„Die Athleten haben die Corona-Pandemie genutzt, um sich mit Themen auseinanderzusetzen, für die sie sonst nicht die Zeit hatten“
Du sprichst die Olympischen Spiele in Tokio an, die aufgrund der Corona-Pandemie um ein Jahr verschoben und nur unter strengen Auflagen stattfinden konnten. Inwiefern hat sich eure Arbeit generell durch die Pandemie verändert?
Müller: Ich glaube, man muss da ein bisschen unterscheiden. Wir sind eine Art Zubringer der Athleten, ihr eigentliches Training bekommen sie bei uns nicht. Während der Ausgangsbeschränkungen haben wir versucht mit den Kommunen zu sprechen, damit die Athleten trotzdem trainieren können. Für die anderen Dinge waren wir digital mit den Athleten in Kontakt, beispielsweise bei den Themen Ernährungsberatung und psychologische Unterstützung. Diese Themen hatten dann schon einen stärkeren Fokus. Man hat gemerkt, dass die Athleten diese Zeit nutzen, um sich verstärkt mit Themen auseinanderzusetzen, für die sie sonst nicht die Zeit hatten. In der Regel sind die Athleten Studenten, die 30 Stunden die Woche trainieren und nebenbei noch ihr Studium hinbekommen müssen. Dann war das eigentlich eine gute Zeit, um sich mal um andere Dinge zu kümmern und andere Schwerpunkte zu setzen.
Wie hoch war der Anteil der Spitzen-Sportler, die während dieser Zeit entschieden haben, mit Sport aufzuhören?
Müller: Insgesamt zu vernachlässigen. Das Thema Drop-Out (Anm. d. Red.: drop-out (engl.) = rausfallen) wird erst in den nächsten zwei bis vier Jahren im Übergang vom Nachwuchskader in den aktiven Leistungssport messbar sein. Dort fehlte der Wettkampf und deshalb wussten die Nachwuchssportler gar nicht, wo sie stehen. Ich glaube in diesem Bereich von 14-, 15-, 16-Jährigen, um es mal so pauschal zu sagen, war es schwierig. Aber mit den Athleten haben wir nicht so viel zu tun, wir sind eher aktiv in dem Bereich ab 17 Jahren aufwärts.
Nicht nur die Sportler wurden durch Corona eingeschränkt, sondern auch deine Arbeit. Seit drei Jahren bist du nun hier angestellt. Wie zufrieden bist du mit deiner Arbeit bisher?
Müller: Ich will uns als Dienstleister sehen und da muss man auch immer schauen, was man noch besser machen kann. Ich glaube, dass wir es gut schaffen, als Olympiastützpunkt nah bei den Athleten zu sein, das bekommen wir von ihnen auch gespiegelt. Wir sind gut durch die Corona-Situation gekommen, weil wir es geschafft haben, Athleten früh wieder Trainingsmöglichkeiten einzuräumen. Sportlich waren wir auch mit dem Abschneiden bei den Olympischen Spielen in Tokio zufrieden. Aber diese Zahlen möchte ich für mich immer ein bisschen relativieren. Ich will erst einmal schauen, wie zufrieden Athleten mit unserem Service sind. Daher beschäftigen wir uns immer mit Dingen, die wir besser machen wollen. Wir haben in den vergangenen drei Jahren vor allem unser medizinisches Netzwerk ausgebaut und ein bisschen differenziert. Ich glaube, da haben wir uns gut entwickelt. Was wir auf jeden Fall noch verbessern wollen, ist der Bereich Kommunikation gegenüber den Athleten. Also wie können wir, wenn eben nicht alle tagtäglich hier in Köln trainieren und vorbeikommen, noch besser deutlich machen, was sie am OSP an Leistung bekommen können. Das werden wir zukünftig noch stärker über Social-Media machen: Vorstellen, was der OSP ist, welches Produktportfolio es gibt und was hinter der Dienstleistung steckt.
„Ich würde gerne den Sport vor Ort erleben und an möglichst vielen Veranstaltungen teilnehmen“
Du sagst die Anzahl an Medaillen solle man relativieren. Welche Faktoren sollten denn neben der Zufriedenheit der Athleten noch zum Tragen kommen?
Müller: Zum Beispiel muss man als Leistungssportler Vorbild sein. Das versuche ich auch immer wieder zu betonen. Andere Aspekte der Sportförderungen sollten sein: Inwiefern inspiriert der Athlet? Sorgt er dafür, dass andere Sport machen? Am Ende ist das der Punkt, der Sport wachsen lässt. Es braucht vorbildhafte Athleten. Letztlich schafft es, wenn überhaupt, ein Prozent in die Leistungsspitze. Wenn dafür aber 99 Prozent weiter Sport machen und sich bewegen, ist das etwas Wertvolles für das gesamte Leben. Solche Vorbilder wollen wir auch weiter nach außen tragen. Turnerin Sarah Voss hat sich beispielsweise dafür stark gemacht, dass Turnerinnen keine kurzen Anzüge mehr tragen müssen, und hat dafür auch positive Resonanz bekommen. Auch unsere Hockey-Spielerinnen sind da zu erwähnen. Die müssen aufgrund ihrer Wettkämpfe viel fliegen, wollen aber trotzdem einen Ausgleich schaffen und spenden deshalb für jeden Flug etwas Geld aus eigener Tasche, um einen Wald zu pflanzen. Das ist kein kompletter Ausgleich, aber der Gedanke zählt. Oder unsere Judoka Anna-Maria Wagner, die offen über Depression im Spitzensport redet. Diese Aktionen finden dann sogar Anerkennung in den größeren Medien, was uns natürlich sehr freut.
Welche Ziele hat der OSP neben erfolgreichen Spielen in Paris für die nächsten Jahre?
Müller: Wir definieren immer zwei Teams, wo wir Athleten herauspicken, die durch uns intensiv betreut werden. Das ist einmal ein Top-Team, das sind die Athleten, die gute Aussichten haben 2024 in Paris dabei zu sein. Unser Ziel ist es, besonders diese Athleten bestmöglich zu unterstützen. Und wir haben noch ein Perspektivteam. Da wollen wir junge Athleten, die gerade in dem Übergang sind, eng an uns binden und ein Vertrauensverhältnis aufbauen. Das sind wiederkehrende Themen, die wir in jedem olympischen Zyklus haben. Und wir wollen den Athleten durch Partner und Sponsoren noch ein paar mehr Möglichkeiten geben ihren Sport noch besser auszuüben. Zum Beispiel durch Massagepistolen oder Recovery-Boots, damit Athleten einen Service vor Ort haben, auch wenn nicht zwingend jemand von uns da ist. Außerdem wollen wir eine bessere Feedback-Kultur und Qualitätsmanagement mit den Bundesstützpunkten und den medizinischen Partnern aufbauen.
Und welche Ziele hast du persönlich? Vielleicht einmal Olympische Spiele ohne Corona erleben?
Müller: Es hätte mich gefreut, wenn wir 2032 den Zuschlag in NRW als Ausrichter bekommen hätten. Zudem würde ich mich freuen 2024 in Paris Teil der Spiele zu sein. Außerdem freue ich mich einen noch genaueren Einblick in die verschiedenen Sportarten zu bekommen. Ich finde den Einblick immer sehr spannend, man lernt verschiedene Arten von Typen kennen, die vom Charakter und Habitus komplett unterschiedlich sind, das macht einfach Spaß. Ich würde gerne den Sport vor Ort erleben und an möglichst vielen Veranstaltungen teilnehmen. Das ist etwas, das in den vergangenen Jahren zu kurz gekommen ist. Am 1. Juli findet beispielsweise in Leverkusen eine spannende Veranstaltung der Para-Leichtathleten statt. Da dieses Jahr keine Weltmeisterschaft stattfindet, hat Leverkusen als einer der führenden Standorte dieses Sports eine eigene Veranstaltung auf die Beine gestellt, die von sehr guten nationalen und internationalen Athleten besetzt sein wird. Auf solch einen Wettkampf in einer ungezwungenen, familiären Atmosphäre freue ich mich.
Zur besseren Lesbarkeit wurde im Interview auf Gender-Hinweise verzichtet.
Jarno Gier
Fotos: Henri Backhaus